Ein Gastbeitrag von Kathrin Werner.
Das altbekannte Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ deutet schon an, dass Bilder, also Visualisierungen, Text überlegen sein können. Denn komplexe Sachverhalte können mit Bildern einfach fassbar gemacht werden. Das gilt besonders, wenn es darum geht, Entwicklungen sichtbar zu machen, die auf Zahlen beruhen.
Global Warming Stripes – gelungene Bildsprache
Das beste Beispiel dafür, dass ich kenne sind die Global Warming Stripes von „Global Warming Stripes von Ed Hawkins (University of Reading). Laut Washington Post sind sie sogar die „eindrucksvollste Visualisierung der globalen Erwärmung aller Zeiten“. Denn die Warming Stripes machen auf sehr eindrückliche und bestürzende Weise sofort begreifbar, wie stark die Klimaerwärmung schon fortgeschritten ist.

Bildquelle: Ed Hawkins, University of Reading
Wahrscheinlich hat sie fast jeder schon mal gesehen. Die Warming Stripes sind zu einem leicht wiedererkennbaren Symbol für ein komplexes Thema geworden, ein Zeichen, unter dem sich Menschen vereinen können.
Warum funktioniert das Bild so gut?
Das Bild zeigt die Entwicklung jährlichen Durchschnittstemperatur in Europa der letzten 171 Jahre übersetzt in Farbe. Ob ein Jahr in Blau- oder Rottönen gefärbt ist, hängt davon ab, ob seine Durchschnittstemperatur höher oder tiefer liegt als die Durchschnittstemperatur des Zeitraums von 1971 bis 2000. Je wärmer, desto roter, je kühler, desto blauer und es ist sofort zu erkennen, dass die letzten Jahre verdammt rot sind.
Das Bild basiert zudem auf einem uns vertrauten Farbcode: rot steht für heiß, blau für kalt – das kennen wir von jedem Wasserhahn. Und die Abfolge der Farben macht die Botschaft so deutlich: in der Gegenwart wird es dunkelrot. Zusätzlich Rot steht auch für Alarm, Gefahr.
Um seine Bedeutung zu verstehen, braucht es nur wenig Erklärung. Und die Botschaft dieses Bildes wirkt so viel stärker und tiefer als beispielsweise der Satz „Seit dem Zeitraum 1971–2000 sind die jährlichen Durchschnittstemperaturen in Europa um fast ein Grad gestiegen“. Es macht die Aussage begreifbar – auf einer intuitiven und emotionalen Ebene. Und das Berühren der emotionalen Ebene leisten gut Bilder besonders gut.
Wie wirken Visualisierungen auf unser Gehirn?
Unser Gehirn liebt Bilder. Rund 80 % der Informationen, die wir aufnehmen, gelangen über den Sehsinn in unser System – und gute Bilder werden schneller verarbeitet als Text.
Dafür, was ein gutes Bild ausmacht, gibt es verschiedene Gestaltungsprinzipien, die Designern bestens vertraut sind. Im Beispiel Global Warming Stripes haben wir den sinnvollen Einsatz von Farbe gesehen. Das Bild hätte zum Beispiel in Gelb- und Grüntönen längst nicht diese Wirkung erzielt,
Die sogenannte „Dual Coding Theory“ (von Allan Paivio) erklärt darüber hinaus, warum Bilder so wirkungsvoll sind: Wenn wir Informationen gleichzeitig über zwei Kanäle aufnehmen – visuell (Bilder) und verbal (Worte) – werden sie mehrfach „codiert“, das Gehirn verknüpft den Sachverhalt doppelt. Dadurch steigt die Chance, dass uns später daran erinnern deutlich.
Visualisierungen helfen beim Erinnern
Visualisierungen helfen außerdem beim Erinnern, weil die Bilder sozusagen als Anker wirken und weil sie Emotionen ansprechen. Zudem helfen sie auch, ins Gespräch zu kommen.
Vor allem in den Naturwissenschaften wird deswegen schon lange mit Illustrationen gearbeitet. Niemand würde auf die Idee kommen, in einem Biologie-Buch den Aufbau eines Blattes oder des menschlichen Auges nur mit Text zu beschreiben – eine beschriftete Illustration ist viel sinnvoller, das ist unmittelbar einleuchtend. Text und Bild arbeiten hier sehr gut zusammen und ergänzen sich.
Aber auch andere Themen lassen sich sehr gut anhand von Bildern erklären. Hier ein Beispiel für die letzte Bundestagswahl, dass Erst- und Zweitstimme und die Zusammensetzung des Bundestags illustriert.

Warum das eigene Zeichnen das Lernen und Verstehen besonders wirksam macht
Noch wirkungsvoller unterstützen uns Bilder beim Lernen, wenn wir selbst zeichnen. Denn, wer selbst visualisiert, verarbeitet Informationen deutlich tiefer. Genau das zeigen auch Studien aus der Lernforschung (Wammes, Meade & Fernandes, 2016): Menschen, die beim Lernen selbst zeichnen, erinnern sich besser und länger an Inhalte – und zwar deutlich besser als bei reinem Lesen und selbst besser als bei rein geschriebenen Notizen.
Warum ist das so?
Beim Zeichnen passiert kognitiv sehr viel:
- Man muss Inhalte verstehen, um sie in eine bildhafte Form zu bringen.
- Man entscheidet, was wichtig ist – und schafft eigene Bedeutungsstrukturen.
- Man verknüpft Wissen mit Motorik, Sprache und Raum – also mit mehreren Hirnsystemen gleichzeitig.
Das Ergebnis: Das Gelernte wird im Gehirn stärker verankert, ist leichter abrufbar und wird eher mit eigenem Vorwissen verknüpft. Genau das ist nachhaltiges Lernen.
Und das Allerbeste: zeichnen verbessert die Gedächtnisleistung ganz unabhängig davon, wie gut jemand zeichnen kann. Es reichen einfache Skizzen, Striche, Pfeile oder Symbole. Es geht nicht um Kunst – sondern ums Denken mit dem Stift.
Hierzu ein Beispiel: Meine Tochter hat Schwierigkeiten, sich beim Lernen von Obst- und Gemüsesorten auf Französisch zu merken, ob die Begriffe männlich oder weiblich sind (un oder une). Unsere Lösung war, dass sie alles „männliche“ Obst und Gemüse in einen Korb und das „weibliche“ in einen anderen zeichnet und dann alles beschriftet.

Sie hatte nicht nur Spaß am Zeichnen, sondern danach fiel es ihr viel leichter, sich zu merken, ob die Banane bei der Paprika (un poivron) oder neben dem Apfel (une pomme) war. „Ach ja, die hab ich ja zwischen Apfel und Birne reingequetscht – une banane.“ Das Beispielbild ist von mir (aber falls jemand Französisch lernen will – lieber selber zeichnen).
Fazit: Bilder und Illustrationen sind kein „Nice to have“
Bilder und Illustrationen sind also kein „Nice to have“, sondern ein wirkungsvolles Kommunikationswerkzeug, da sie gut geeignet sind unsere Emotionen aufzugreifen. Gerade für komplexe Themen braucht es Bilder, um Zusammenhänge aufzuzeigen. Und sie helfen beim Lernen und Durchdenken einer Sache – probiert es aus und greift selbst zum Stift!

Ăśber die Autorin
Kathrin Werner ist ĂĽberzeugt vom Mehrwert von Visualisierungen. Sie begleitet Veranstaltung und Workshops mit Graphic Recording, ĂĽbersetzt kompexe Themen mit Bildern und bringt anderen Menschen bei, selbst den Stift in die Hand zu nehmen und loszulegen.
Mehr ĂĽber Kathrin kannst du hier erfahren:
Website: www.kathrinwerner.de
Instagram: @kathrinwerner_sketch
LinkedIn: kathrin-werner-illu